Warum jeder Immobilienbesitzer einen Stresstest braucht - auch wenn er nur drei Wohnungen hat
Stellen Sie sich vor, Ihre Mieter verlieren ihre Jobs. Die Zinsen steigen plötzlich um 3 Prozent. Ein Starkregen macht einen Ihrer Wohnblocks für Monate unbewohnbar. Was passiert dann mit Ihrer Mieteinnahme? Und mit Ihrer Kreditrate? Viele Immobilienbesitzer glauben, sie seien sicher, weil ihre Mietverträge gut laufen. Doch die Realität ist anders. Die Zinswende 2022 hat gezeigt: Was gestern stabil war, kann morgen zusammenbrechen. Ein Immobilien-Stresstest zeigt Ihnen genau das - nicht was passieren könnte, sondern was wahrscheinlich passiert, wenn alles schiefgeht.
Das ist kein Werkzeug nur für große Wohnungsunternehmen mit tausenden Wohnungen. Es ist eine Notfallkarte für jeden, der in Immobilien investiert hat. Ob Sie drei Wohnungen in Salzburg besitzen oder ein Gewerbeobjekt in Linz - wenn Sie Kredite haben, brauchen Sie diesen Test. Denn ohne ihn wissen Sie nicht, ob Sie überleben, wenn die nächste Krise kommt.
Was genau ist ein Immobilien-Stresstest?
Ein Stresstest ist kein Wetterbericht. Es ist keine Prognose. Es ist eine Simulation - eine gezielte Prüfung, wie Ihr Portfolio auf extreme, aber realistische Szenarien reagiert. Die Deutsche Bundesbank hat das 2018 für Banken eingeführt, um zu sehen, ob sie bei einem Einbruch der Immobilienpreise noch solide genug sind. Heute nutzen es auch private Investoren, weil es funktioniert.
Im Gegensatz zu klassischen Risikomodellen wie VaR, die nur auf historischen Daten basieren, schaut ein Stresstest nach vorne. Was, wenn die Arbeitslosigkeit in Ihrer Region auf 12 % steigt? Was, wenn die Betriebskosten um 20 % steigen und gleichzeitig die Mieten nicht angepasst werden können? Was, wenn ein Kredit in zwei Jahren fällig wird, aber niemand mehr Kredite vergibt? Diese Fragen beantwortet ein echter Stresstest - nicht mit Theorie, sondern mit konkreten Zahlen.
Die Schweizerische Nationalbank hat es vorgemacht: Seit 2020 müssen alle Banken mit Immobilienkrediten Stresstests durchführen. Und es hat funktioniert. Banken, die das taten, konnten sich auf die Zinswende vorbereiten. Diejenigen, die es ignorierten, mussten später teuer nachjustieren.
Die fünf wichtigsten Risikofaktoren - und wie sie Ihr Portfolio treffen
Nicht alle Risiken sind gleich. Einige sind sichtbar, andere lauern im Verborgenen. Hier sind die fünf, die wirklich zählen:
- Mietausfälle und Leerstand: Das ist der größte Risikofaktor. Eine Studie von Haufe (2022) zeigt: 7 von 12 großen deutschen Wohnungsunternehmen haben durch Stresstests entdeckt, dass ihre größte Schwachstelle nicht der Zins, sondern der Leerstand war. Ein einzelner Stadtteil mit hoher Arbeitslosigkeit kann Ihr ganzes Portfolio belasten. In Wien oder Graz hat sich das bei der Corona-Pandemie gezeigt - bestimmte Viertel hatten bis zu 18 % Leerstand.
- Zinsänderungen: Wenn Sie einen variablen Kredit haben, steigt Ihre Rate. Ein Anstieg von 2 % auf 5 % kann Ihre monatliche Belastung um 40 % erhöhen. Besonders kritisch: Kredite, die in den nächsten 5 Jahren fällig werden. Viele Investoren haben 2020 oder 2021 zu niedrigen Zinsen refinanziert - jetzt steht die Rechnung an.
- Betriebskostensteigerungen: Heizung, Reparaturen, Versicherungen, Hausmeister - alles wird teurer. Die Immobilienbranche rechnet mit jährlichen Steigerungen von 3-5 %. Aber in einem Stresstest nehmen Sie 15-25 % an - das ist realistisch, wenn Energiepreise oder Löhne explodieren.
- Wertminderung: Ein Gebäude, das heute 1 Million Euro wert ist, kann morgen nur noch 700.000 Euro wert sein. Das passiert nicht durch Einbrüche, sondern durch Veränderungen: Eine neue Bahnlinie, die den Lärm erhöht. Ein neues Gewerbegebiet, das die Nachfrage senkt. Oder Klimarisiken - Überschwemmungen, Hitze, die die Immobilienwerte in bestimmten Lagen drücken.
- Finanzierungsstruktur: Wie viel Schulden haben Sie? Wie lange laufen Ihre Kredite? Die Deutsche Bundesbank sagt: Ein Verschuldungsgrad über 60 % bei Wohnimmobilien ist kritisch. Und wenn alle Ihre Kredite in 2-3 Jahren fällig werden, sind Sie verletzlich. Ein guter Stresstest prüft, ob Sie bei einer Refinanzierung noch Kredite bekommen - oder ob Sie verkaufen müssen.
Wie Sie einen Stresstest selbst durchführen - Schritt für Schritt
Sie brauchen keine teure Software oder einen Berater, um loszulegen. Hier ist ein praktischer Ansatz für kleine und mittlere Portfolios:
- Sammlen Sie Ihre Daten: Notieren Sie für jedes Objekt: Mieteinnahmen pro Monat, Betriebskosten, Kreditlaufzeit, Zinssatz, Restlaufzeit, Verschuldungsgrad (Kreditbetrag geteilt durch Marktwert). Brauchen Sie 36 Monate historischer Mietdaten? Nicht unbedingt. Aber mindestens 12 Monate sind nötig.
- Definieren Sie 3 Szenarien:
- Szenario 1 (Leicht): 10 % Mietausfall, 15 % höhere Betriebskosten, Zinsanstieg um 1 %
- Szenario 2 (Mittel): 20 % Mietausfall, 20 % höhere Betriebskosten, Zinsanstieg um 2,5 %
- Szenario 3 (Schwer): 30 % Mietausfall, 25 % höhere Betriebskosten, Zinsanstieg um 4 %, Kreditfälligkeit in 12 Monaten
- Berechnen Sie den Cashflow: Nehmen Sie Ihre monatlichen Einnahmen, ziehen Sie Betriebskosten und Kreditraten ab. Machen Sie das für jedes Szenario. Was bleibt übrig? Was ist negativ? Wann fällt Ihr Portfolio ins Minus?
- Prüfen Sie die Refinanzierung: Stellen Sie sich vor, Ihr Kredit läuft in 18 Monaten ab. Können Sie ihn dann noch zu einem ähnlichen Zins verlängern? Oder müssen Sie verkaufen? Rechnen Sie mit einem Zinssatz von 6 % - das ist heute realistisch.
- Finden Sie die Schwachstellen: Welches Objekt bringt den größten Verlust? In welchem Stadtteil liegt das Risiko? Haben Sie zu viele Objekte in einer Region? Das ist Ihr Konzentrationsrisiko - und es ist oft der größte Fehler.
- Entwickeln Sie Gegenmaßnahmen: Was können Sie tun? Mieterhöhung? Sanierung? Verkauf eines Objekts? Kreditumstrukturierung? Ein Stresstest ist nur dann wertvoll, wenn er zu Aktionen führt.
Was kostet ein Stresstest - und lohnt er sich?
Ein professioneller Stresstest für ein Portfolio von 10 Millionen Euro kostet zwischen 15.000 und 25.000 Euro. Das klingt viel. Aber die Haufe-Studie zeigt: Die durchschnittliche Rendite durch vermiedene Verluste liegt bei 4,2-fach des Aufwands. Ein Unternehmen, das durch einen Stresstest einen Verlust von 12 Millionen Euro verhinderte, hat das Geld in 3 Monaten wiederhereingeholt.
Für kleinere Portfolios unter 5 Millionen Euro reicht ein selbst durchgeführter Test. Sie brauchen kein teures Tool. Excel reicht. Die wichtigste Investition ist Zeit - und Mut, die Wahrheit zu sehen. Viele Investoren vermeiden den Test, weil sie Angst haben, was sie finden werden. Aber die Wahrheit ist: Wer den Test nicht macht, zahlt später doppelt.
Marktführer wie RSN Risk Solution Network AG oder JLL bieten digitale Lösungen an. Aber auch Software wie RiskFacts oder Moody’s Analytics ist heute für kleine Investoren erschwinglich. Die Kosten liegen bei 0,15 % des Portfoliowerts - das sind 7.500 Euro bei 5 Millionen Euro. Und das ist weniger als ein Jahr Mieteinnahmen.
Die häufigsten Fehler - und wie Sie sie vermeiden
Stresstests scheitern oft nicht an der Technik, sondern an der Denkweise. Hier sind die drei größten Fehler:
- Unrealistische Szenarien: „Was, wenn die Miete verdoppelt wird?“ - das ist kein Stresstest, das ist Science-Fiction. Realistisch heißt: 10-30 % Mietausfall, nicht 80 %. Die Haufe-Studie sagt: 63 % der Tests scheitern, weil die Szenarien zu weit von der Realität entfernt sind.
- Keine Wechselwirkungen: Ein Zinsanstieg führt nicht nur zu höheren Raten. Er führt auch dazu, dass Mieter weniger zahlen können - weil sie selbst höhere Kosten haben. Das ist eine Kaskade. Viele Tests berechnen das separat - aber das ist falsch. Die Risiken greifen ineinander.
- Keine Gegenmaßnahmen: Ein Test ohne Aktion ist ein Theaterstück. Wenn Sie feststellen, dass Ihr Portfolio bei einem Zinsanstieg von 3 % in die roten Zahlen rutscht, dann müssen Sie etwas tun. Sonst ist der Test wertlos.
Was kommt als Nächstes - Klimarisiken, KI und Regulierung
2025 ist nicht mehr 2020. Die Regulierung verschärft sich. Die Deutsche Bundesbank wird ab 2024 auch private institutionelle Investoren zu Stresstests verpflichten. Das bedeutet: Wer mehr als 10 Millionen Euro an Immobilien besitzt, muss es machen - oder Risiken nicht mehr absichern.
Aber es geht noch weiter: Klimarisiken sind jetzt Teil des Tests. Überschwemmungen, Hitzewellen, die die Energiekosten in alten Gebäuden in die Höhe treiben - das wird jetzt berechnet. Die Bundesbank hat ihre Methodik im März 2023 aktualisiert. Wer das nicht berücksichtigt, hat einen veralteten Test.
Und KI? Sie wird die Zukunft sein. Die Universität Graz hat gezeigt, dass KI-gestützte Szenarien die Vorhersagegenauigkeit um 22 % erhöhen. KI kann aus Hunderten von Datenpunkten - Wetter, Arbeitsmarkt, Mietentwicklung - automatisch realistische Krisenszenarien generieren. Das macht den Test schneller, präziser und günstiger.
Langfristig wird sich der Stresstest mit ESG-Kriterien verbinden. Die EU-Taxonomie verlangt, dass Immobilien nicht nur finanziell, sondern auch ökologisch und sozial bewertet werden. Ein Haus, das nicht energieeffizient ist, wird künftig nicht nur teurer zu betreiben - es wird auch schwerer zu verkaufen. Der Stresstest wird also nicht nur ein Risikotest, sondern ein Zukunftstest.
Was tun, wenn Ihr Portfolio durchfällt?
Ein schlechter Test ist kein Ende - er ist ein Signal. Wenn Ihr Cashflow bei einem mittleren Szenario negativ wird, dann haben Sie drei Möglichkeiten:
- Verkaufen: Ein Objekt mit hohem Risiko - zum Beispiel ein altes Gewerbegebäude mit hohen Sanierungskosten - verkaufen und das Geld in eine stabilere Immobilie stecken.
- Refinanzieren: Wenn Sie noch Zeit haben, vor der Fälligkeit einen neuen Kredit mit längerer Laufzeit aufnehmen. Das reduziert die monatliche Belastung.
- Sanieren: Ein Gebäude mit schlechter Energiebilanz sanieren - nicht nur aus Umweltgründen, sondern weil es Ihre Mietfähigkeit erhöht und die Versicherungskosten senkt.
Es geht nicht darum, perfekt zu sein. Es geht darum, vorbereitet zu sein. Die meisten großen Verluste passieren nicht, weil etwas unerwartet kommt. Sondern weil niemand hingeguckt hat.
Ist ein Immobilien-Stresstest nur für große Investoren relevant?
Nein. Auch wenn Sie nur drei Wohnungen besitzen, ist ein Stresstest sinnvoll, wenn Sie Kredite haben. Die meisten kleinen Investoren unterschätzen das Risiko, weil sie glauben, ihre Mieteinnahmen seien sicher. Aber wenn ein Mieter ausfällt, die Zinsen steigen und die Betriebskosten explodieren, kann das Ihr ganzes Einkommen gefährden. Ein einfacher Test mit drei Szenarien in Excel reicht als Start.
Wie lange dauert ein Stresstest?
Für kleine Portfolios (unter 5 Millionen Euro) können Sie einen einfachen Test in 10-20 Stunden selbst durchführen. Professionelle Tests mit Software und Experten brauchen 6-8 Wochen. Neue Cloud-Plattformen wie die von RSN reduzieren das auf 2 Wochen. Wichtig ist nicht die Dauer, sondern die Qualität der Szenarien.
Welche Daten brauche ich für einen Stresstest?
Sie brauchen: Mieteinnahmen pro Objekt (mindestens 12 Monate), Betriebskosten, Kreditverträge (Zinssatz, Laufzeit, Restlaufzeit, Tilgung), Marktwert der Immobilien, Mieterprofile (wenn möglich), Standortdaten (Arbeitslosenquote, Mietentwicklung). Je genauer die Daten, desto zuverlässiger das Ergebnis.
Was ist der Unterschied zwischen Stresstest und VaR?
VaR (Value at Risk) berechnet, wie viel Sie maximal verlieren könnten - basierend auf historischen Daten. Aber Immobilienmärkte verhalten sich nicht normal - sie reagieren plötzlich und unvorhersehbar. Ein Stresstest geht einen Schritt weiter: Er fragt, was passiert, wenn ein spezifisches Ereignis eintritt - wie eine Rezession, ein Zinsanstieg oder eine Pandemie. Er ist realistischer, weil er echte Szenarien abbildet, nicht nur Statistiken.
Soll ich einen externen Berater beauftragen oder selbst machen?
Wenn Ihr Portfolio unter 5 Millionen Euro liegt und Sie Zeit haben, machen Sie es selbst. Nutzen Sie Excel und die Szenarien aus diesem Artikel. Wenn Sie mehr als 10 Millionen Euro haben, oder wenn Sie institutionell investieren, beauftragen Sie einen Experten. Die Kosten sind dann geringer als die möglichen Verluste. Ein guter Berater bringt auch Erfahrung aus anderen Portfolios mit - das können Sie nicht selbst haben.
Wann sollte ich meinen Stresstest aktualisieren?
Mindestens einmal pro Jahr. Aber auch nach großen Veränderungen: nach einer Zinsänderung, nach einem Mieterwechsel in einem Schlüsselobjekt, nach einer Sanierung, oder wenn sich die lokale Wirtschaft verändert (z. B. eine Fabrik schließt). Ein Stresstest ist kein Einmal-Tool - er ist ein lebendiger Teil Ihres Risikomanagements.